Schlagwort: Ruhrgebiet
Eggerscheidt, 1949
Meine Urgroßeltern Sophia (geb. Kaminska) und Michael Jendrian und ihre sechs Kinder im September 1949 in Ratingen-Eggerscheidt.
Von links nach rechts,
1. Gertrud (geb. 1916 in Essen-Schonnebeck)
2. Sophia (geb. 1914 in Essen-Schonnebeck
3. Maria (geb. 1911 in Essen-Schonnebeck)
4. Marta (geb. 1907 in Zdroje, Kr. Strasburg/Wpr.)
5. Wladislawa (geb. 1903 in Zdroje, Kr. Strasburg/Wpr.)
6. Pelagia (geb. 1900 in Zdroje, Kr. Strasburg/Wpr.)
Ab 1937 haben meine Urgroßeltern auf dem Heckenweg in Eggerscheidt gewohnt.
Der Hölenderweg ist die Verbindung von Eggerscheidt nach Ratingen.
Gertrud Calmund (1916 – 1997)
Oma in Albufeira, Portugal (1979)
Oma am Bodensee
Oma in Niederkleveez (Plön), Schleswig-Holstein
Tante Gertrud (1908 – 1983)
Am 8.7.2018 wäre Tante Gertrud 110 Jahre alt geworden !!!
Die Schwester von Tante Gertrud, Maria wurde 1906 in Gelsenkirchen geboren. Somit dürfte Adam Jendrian, der Vater von Gertrud + Maria, vor meinem Urgroßvater im Ruhrgebiet angekommen sein, da mein Urgroßvater 1906 noch in den USA lebte.
Das „Göring-Dekret“ von 1940
Die Verordnung des Ministerrats für die Reichsverteidigung über die Organisationen der polnischen Volksgruppe im Deutschen Reich vom 27. Februar 1940 wurde mit Gesetzeskraft erlassen. Gemäß dieser Verordnung wurde die Tätigkeit der Organisationen der polnischen Volksgruppe in Deutschland verboten. Es handelte sich um Vereine, Stiftungen, Gesellschaften, Genossenschaften und sonstige Unternehmen. Darüber hinaus durften keine neuen polnischen Organisationen gegründet werden.
Entsprechend der Verordnung des Kriegsverbrechers Hermann Göring wurde die polnische Minderheit in Deutschland illegalisiert. Das Vermögen des Bundes der Polen wurde beschlagnahmt und ca. zwei Tausend Mitglieder des Bundes der Polen wurden ermordet. Tausende Mitglieder wurden schikaniert.
Eine ausdrückliche Aufhebung der Verordnung vom 27. Februar 1940 und die Feststellung ihrer Nichtigkeit fanden bisher in Deutschland nicht statt. Das sogenannte Göring Dekret von 1940 existiert rechtlich weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland.
Die polnische Minderheit ist die einzigste Minderheit in Deutschland die nach dem 2.Weltkrieg ihren formellen Status nicht wiedererhielt, denn im demokratischen Deutschland gilt bis heute die Verordnung des Kriegsverbrechers Hermann Göring.
Anders formuliert, der demokratische Staat Bundesrepublik Deutschland behandelt die Nachfahren der polnischen Minderheit in Deutschland schlechter als die Nazideutschen in den Jahren 1933 bis 1940.
Am 6. März 1938 fand in Berlin noch der Kongreß der Polen statt.
Spaziergang durch Schonnebeck
Der Name Schonnebeck leitet sich von schöner Bach ab. Schonnebeck wurde 1242 erstmals erwähnt. Seit 1929 ist Schonnebeck ein Stadtteil von Essen. Durch die Industrialisierung des Ruhrgebietes wuchs die Bevölkerung in Schonnebeck sehr rasant an.
Jahr | Einwohner | Anstieg % |
1861 | 327 | 0 |
1871 | 1.196 | 265,7 % |
1880 | 1.915 | 60,1 % |
1890 | 3.097 | 61,7 % |
1900 | 6.544 | 111,3 % |
Um 1914 lebte die Familie Jendrian auf der Friedrichstraße 16 (heute Gareisstraße) und mein Urgroßvater arbeitete in der Kokerei der Zeche Zollverein (Schacht III, heute das Phänomania Erfahrungsfeld).
Ich bezweifle, das die Berufsangabe „Bergmann“ im Adressbuch von 1914 richtig ist. Ich weiß das mein Urgroßvater nie unter Tage als Bergmann gearbeitet hat. Laut Bergpolizeiverordnung des Oberbergamtes von 1899 mußten die Bergleute der deutschen Sprache mächtig sein, mein Urgroßvater sprach nur polnisch und konnte sich in deutsch nicht verständigen !
In der Nähe der Friedrichstraße eröffnete die Familie Albrecht 1913 auf der Mittelstraße (heute Huestraße 89) ihren ersten Aldi-Laden, damals noch ein einfaches Lebensmittelgeschäft.
1914 wurde die Jugendhalle, eine Turn- und Festhalle, eröffnet. Die Jugendhalle steht heute unter Denkmalschutz und wurde für die Kölner Ausstellung des Werkundes 1914 errichtet. Nach der Ausstellung in Köln wurde der Holzbau abgebaut und in Schonnebeck wieder aufgebaut. Während des 2. Weltkrieges wurde die Halle als Lager für französische und italienische Kriegsgefangene genutzt. Die Halle ist eine der wenigen erhaltenen Bauwerke der Kölner Werkbundausstellung.
1907 wurde die St.-Elisabeth-Kirche in Schonnebeck eröffnet.
Von der Friedrichstraße zog die Familie Jendrian dann zur Schulstraße 58, die später in Erzbergerstraße unbenannt wurde (heute Matthias-Erzberger-Straße) und lebte dort bis ca. 1937. Das Haus in dem die Familie lebte, in der Nähe des ehemaligen Friedhofs, wurde schon vor Jahrzehnten abgerissen. Im Haus wohnte auch die Witwe Didneite mit ihren Kindern,
Die Invasion der Waschbären
„Sie trafen einzeln ein, in kleinen Gruppen oder in großen Sammeltransporten. Seltsam fremd und verloren waren sie anzusehen. Männer in derben, unmodernen Anzügen, seltener auch Frauen, mit grobgeschneiderten Röcken und bunten Kopftüchern. Ein Sack, manchmal nur ein Kissenbezug, enthielt ihre gesamte Habe – ein bißchen Wäsche, etwas Bettzeug. Auf den Bahnhöfen aber stand die einheimische Jugend und machte spöttische Bemerkungen. „Die Waschbären kommen!“
Dort, wo sie bisher gelebt hatten, diese „Waschbären“, West- und Ostpreußen, in Posen und Oberschlesien, waren ein paar Monate zuvor die Werber auf den Dörfern erschienen. Sie versprachen eine bessere Zukunft im Westen, in den Hüttenwerken und den vielen neuen Zechen an der Ruhr. Zigaretten, Bier und Schnaps wurden von den Fremden freigiebig unter den neugierigen Zuhörern verteilt. Wer den Arbeitsvertrag unterschrieb, erhielt auf der Stelle eine ganze Mark „Angeld“ und am Abend fand im Dorfkrug ein großes Tanzvergnügen statt, zu dem der ferne Unternehmer alle herzlich einlud.
So und ähnlich beschreiben zeitgenössische Berichte den Beginn einer Invasion, einer Völkerwanderung, die das Gesicht der bisher fast menschenleeren Landschaft an der Emscher bis zur Unkenntlich umgestalten sollte.“ so Enno Stephan in seinem Buch „Das Revier der Pioniere“, Kapitel 21 „Die Invasion der Waschbären“ auf Seite 235.
Die Aussicht auf höhere Löhne, preisgünstige Zechenwohnungen und soziale Aufstiegsmöglichkeiten lockte Tausende von Kleinbauern und Landarbeiter in den Westen.
Diese „Waschbären“ waren keine Ausländer. Die „Waschbären“ kamen vor allem aus den preußischen Ostprovinzen in das Ruhrgebiet. Die Einwohner West- und Ostpreußen besaßen die preußische Staatsangehörigkeit und waren somit Deutsche. Nur sprachen diese „Waschbären“ meistens polnisch und waren „Polacken“.
Spottpostkarte auf den Kinderreichtum der „Waschbären“ im Ruhrgebiet
Na Stanislaus, bist´ nicht bang,
dass dir der Wagen genullt wird ?
Ne Kamerad, dä Wagen wird nich
genullt, der is ja immer voll.
Im Bergbau wurde der Förderwagen „genullt“ – also mit Lohnabzug belegt – wenn dieser nach Ansicht des Steigers nicht voll war oder zu viel taubes Gestein enthielt.
2002 habe ich für einige Jahre in Leipzig gelebt. Es war ein Umzug von West- nach Ostdeutschland. Damals hat niemand von einer Invasion, Zuwanderung oder Einwanderung gesprochen.
Mein Urgroßvater wird sicher ins Ruhrgebiet ausgewandert sein, denn wer auswandert muß schließlich auch irgendwo einwandern. Unter „Jendreton“ und dem Jahr 1904 findet sich der Eintrag in der Deutschen Auswanderdatenbank in Bremerhaven. Auch seine Zeit in den USA läßt sich dokumentieren.
Meine Urgroßmutter ist mit den Schwestern (Paula, Wladislawa und Martha) meiner Oma dagegen nur umgezogen. Die sind nie ausgewandert, die haben immer nur in Deutschland gelebt, als deutsche Staatsbürger polnischer Abstammung.
Mit dem Zug sind sie 1910 von Radoszki (Radosk in Westpreußen) über Berlin nach Gelsenkirchen gefahren. Meine Urgroßvater ist dagegen mit dem Schiff von New York über Hamburg ins Ruhrgebiet angereist.
Der Familienname Jendrian
Der Familienname Jendrian ist ein sehr seltener Name, polnischen Ursprungs. Der Familienname existiert in Polen jedoch nicht mehr. Ausgehend von Koszelewki (ehemals Klein Koschlau, Kreis Neidenburg in Ostpreußen) verbreitete sich der Familienname über Jeleń (ehemals Jellen, Kreis Strasburg in Westpreußen) in das Ruhrgebiet (Essen, Gelsenkirchen) und nach Nordfrankreich (Waziers).
Die beiden Dörfer Koszelewki (Klein Koschlau) und Jeleń (Jellen) liegen etwa 9 Kilometer auseinander und der Fluß Wel (Welle) war die natürliche Grenze zwischen den historischen Provinzen Ost- und Westpreußen.
Der älteste Eintrag der Familie Jendrian ist im katholischen Kirchenbuch von Lidzbark (Lautenburg, Westpreußen) zu finden. Am 6. April 1828 verstarb im Alter von 42 Jahren Dorothea Jendryan aus Koszelewki. Da Koszelewki damals zum Kreis Neidenburg in der Provinz Ostpreußen gehörte, ist laut diverser Quellen eigentlich die katholische Kirchengemeinde in Wielki Łęck (Groß Lensk, Ostpreußen) für das Dorf zuständig. Vermutlich war der Weg von Koszelewki über Wąpiersk und Jeleń zur Kirche nach Lidzbark für die Dorfbewohner jedoch einfacher. 1820 lebten in Koszelewki 94 Menschen (www.kartenmeister.com).
Der Familienname Jendrian ist im „Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet “ aufgeführt und hat sich laut dieser Quelle aus dem Vornamen Adrian entwickelt.
Professor Udolph vom Zentrum für Namensforschung in Leipzig bestätigt den polnischen Ursprung des Familiennamens Jendrian. In einer Ausarbeitung über den Namen schreibt er u.a.: „Aus dem Abgleich der heutigen wie historischen Verbreitungsdaten ergibt sich, dass der Familienname Jendrian im polnischen Sprachraum in den früheren Provinzen West- und Ostpreußen entstanden sein muss. Heute finden wir den Namen in Polen nicht mehr, es tauchen aber Namensvarianten wie Jędrejan oder Jędrzejan auf, die als Ausgangsform des Namens Jendrian zu betrachten sind. Der darin enthaltene Nasalvokal <ę> wird vor dem Konsonanten /d/ als /en/ gesprochen. Entsprechend konnte der Name im deutsch slawischen Kontaktgebiet als Jendrian verschriftlich werden.“
„Grundlage des Namens Jendrian ist eine Koseform des Rufnamens Jędrzej, an den die Koseendung –en trat.“ und „Der Rufname Jędrzej ist eine polnische Variante des christlichen Taufnamens Andreas.“
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges zogen einige Mitglieder der Familie Jendrian aus Jeleń nach Waziers in Nordfrankreich.