Zdroje und das Unesco-Kulturerbe

Die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit (englisch Representative List of the Intangible Cultural Heritage of Humanity) ist eine von drei internationalen Listen, die die UNESCO erstellt. Auf der Liste des immateriellen Kulturerbes steht z.B. das Baguette aus Frankreich. Der traditionelle Herstellungsprozess des französischen Baguettes umfasst das Wiegen der Zutaten, das Mischen, Kneten, Fermentieren, Teilen, Entspannen, Formen, Gären, Markieren des Teigs mit flachen Einschnitten und das Backen. Immaterielles Kulturerbe sind in Polen z.B. die Kraukauer Weihnachtskrippen. In Polen gehören zum immateriellen Kulturerbe auch die Flößerei sowie die Baumimkerei bzw. die Waldbienenzucht .

 Von Zdroje nach Bartniczka gibt es nur eine Straße

Meine Urgroßeltern kommen aus Zdroje, einem kleinen Straßendorf in der Landgemeinde Bartniczka, im Powiat Brodnicki in der Woiwodschaft Kujawien-Pommern in Polen. Bartniczka zählt knapp 5.000 Einwohner und besteht aus 13 Dörfern. Die Siedlung Zdroje ist so klein, das sie keinen Dorfstatus besitzt. Die Waldbienenzucht war in Zdroje schon früh bekannt. Hans Plehn schreibt in seiner 1900 erschienenen Abhandlung „Die Geschichte des Kreises Strasburg in Westpreußen“ u.a.: „Bartniczka war … dem Namen nach eine Beutnerei.“

Auszug Hans Plehn, Die Geschichte des Kreises Strasburg in Westpreußen

Im deutschen nannte man die damaligen Imker Zeidler oder Beutner, im polnischen wurden sie Bartnik genannt. Das Wappen der Gemeinde Bartniczka, besteht aus einem Baumstamm und drei Bienen. Einmal im Jahr findet in Bartniczka ein Honigfest statt.

Wappen der Gemeinde Bartniczka, Quelle Wikipedia, gemeinfrei

Der Beruf des Honigsammlers entwickelte sich im frühen Mittelalter. Man hieb alten Bäumen künstliche Höhlen (Beuten) in etwa sechs Meter Höhe ein und versah den Eingang mit einem Brett, in das ein Flugloch eingebracht war. Ob eine Beute von Bienen beflogen wurde oder nicht, hing ganz vom natürlichen Umfeld ab und wechselte jedes Jahr. Die Waldbienenzucht in lebenden Bäumen ist Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend aus Europa verschwunden.

Imker beim Honigsammeln, Quelle Wikipedia, gemeinfrei

Das in den Wälder des preußischen Königs gefällte Holz war als Bau- und Brennholz für die Industrialiersung von wirtschaftlicher Bedeutung. Für den Abtransport des Holzes wurde bei Zdroje ein „Floss Canal“ gebaut, die Brynica (Branitza) wurde kanalisiert. Über die Drwęca (Drewenz) wurde das Holz mit Flößen an die Ostsee und in das Ruhrgebiet transportiert.

Kartenausschnitt mit dem „Floss Canal“ bei Zdroje

Bei Bartniczka wurden die Hölzer der Königlichen Forstwälder Ruda und Brinsk für die öffentlichen Versteigerungen in einer Holzablagestelle gesammelt. 

Versteigerungs-Bekanntmachung in der Thorner Presse vom 25. Februar 1885

„Holzversteigerungs-Bekanntmachung.
Am Freitag, den 13. März cr., sollen im Klebschen Gasthofe zu Bartniczka von Vormittags 11 Uhr ab ca. 1500 Stück Kiefern-Nutzhölzer der I.-IV. Tarklasse mit ca. 1800 Festmeter öffentlich meistbietend verkauft werden. Die Hölzer liegen an der Holzablage zu Bartniczka zum Verflößen bereit.
Kauflustige werden zu dem Termin mit dem Bemerken eingeladen, daß zu dem Tarwerth, welcher ca. 15000 M beträgt, die zu verausgabenden Fuhrlöhne sc. zugeschlagen werden. Die sonstigen Bedingungen werden in dem Termin selbst bekannt gemacht werden. Die Hölzer können auf der Ablage zu jeder Zeit besichtigt werden.
Ruda, den 25. Februar 1885
Der königliche Oberförster.“

Flisak (Flößer) auf der Drwęca (Drewenz)

Die Brynica (Branitza) mündet bei Brodnica (Strasburg) in die Drwęca (Drewenz). Die Drwęca (Drewenz) ist ein rechter Nebenfluss der Wisla (Weichsel) und war bis zur Entwicklung von Eisenbahnen und Straßen eine wichtige und bequeme Handelsroute. Seit dem Mittelalter wurde Handel mit Toruń (Thorn) und Gdansk (Danzig) betrieben. Getreide, Teer, Pelze, Asche und Holz wurden auf dem Fluß transportiert. Von der Ostsee kamen gesalzene Lebensmittel und Salz.

Die Drwęca (Drewenz) in Brodnica (Strasburg)

Seit Fertigstellung des Kanał Elbląski (Oberlandkanal) mit seinen fünf Rollbergen im Jahr 1860 gibt es auch eine Verbindung vom Drwęca-See bei Ostróda (Osterode) zum Hafen von Elbląg (Elbing) an der Ostsee. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn wurde der Transport von Gütern auf dem Kanał Elbląski vollkommen bedeutungslos. 

Rollberge am Kanał Elbląski (Oberlandkanal)

Zdroje, das Dorf mit dem immateriellen Kulturerbe der Menschheit. wartet darauf entdeckt zu werden !!!

Der Novemberaufstand von 1830/31 (1)

Auf dem Marktplatz in der polnischen Kreisstadt Brodnica, dem früheren Strasburg, Westpreußen, erinnert eine kleine Skulptur an die Ereignisse im Oktober 1831. Der Novemberaufstand der Polen war gescheitert, die Reste der polnischen Armee überquerten am 5. Oktober 1831 bei Brodnica die preußische Grenze und legten die Waffen nieder, Mit der Niederschlagung des Aufstandes begann die Grande Émigration (polnisch: Wielka Emigracja), die Flucht der polnischen Elite, Soldaten, Offiziere, Literaten und Künstler in das westliche Europa,  vor allem nach Frankreich. 

Das Bild „Finis Poloniae. Abschied der Polen von ihrem Vaterlande“ malte Dietrich Monten 1832. Um einem Grenzstein mit der Aufschrift „Finis Poloniae“ versammeln sich trauernde polnische Offiziere mit einer zerrissenen Fahne. Monten erinnert mit seinem Bild an den gescheiterten Novemberaufstand von 1830 sowie den Grenzübertritt der polnischen Truppen nach Preußen im Oktober 1831. Das Bild hängt in der Berliner Nationalgalerie.

Dietrich Monten: „Finis Poloniae 1831“ , bpk / Staatliche Museen zu Berlin / Andreas Kilger

Der gelbe Pfeil: Der Grenzstein befindet sich in der Nähe der Bachor Mühle, zwischen Górzno und Jastrzębie und die Grenze teilte Rußland und Preußen.

Der orange Pfeil: General Maciej Rybiński  (*24. Februar 1784 in Slawuta; †17. Januar 1874 in Paris) war der letzte Oberbefehlshaber während des Novemberaufstandes von 1830/31 und führte die polnische Armee am 5. Oktober 1831 nach Preußen

Der rote Pfeil: Das ist die Bauernkate von meinem Urahn Michael Piotrowski in Zaborowo, durch dessen Vorgarten, die polnische Armee mit 19.877 Personen, darunter 9 Generäle, 89 Stabsoffiziere und 416 Unteroffiziere nach Brodnica zog. Mit dabei 95 Kanonen mit Gespannen, 5.280 Kavalleriepferde und 2.556 Artilleriepferde. Zusammen mit der Armee gingen auch die aufständischen Behörden, darunter der letzte Präsident der Nationalregierung, Bonawentura von Niemojowski, sowie Mitglieder des Sejm und zahlreiche Politiker ins Exil.

Auf dem Kartenausschnitt sind die preußisch-russische Grenze, die Bachor Mühle und die Dörfer Zdroje und Zaborowo in Westpreußen zu sehen. Die Mühle von Bachor war der erste Ort in Preußen den General Rybiński mit seinen Soldaten erreichte. Entlang des Flußes Pissa zog die Armee dann weiter Richtung Bartnitzka.

W.v.Dankbahr, Kapitain im Königlich Preußischen Generalstabe schrieb 1832 u.a.: „Auf Grund des getroffenen Uebereinkommens überschritten am 5 ten Oktober 1831 die Reste der polnischen Hauptarmee von Sczutowe her, das preußische Gebiet zu Jastrziembien und nach der Bachor-Mühle, legten die Waffen nieder und bezogen die ihnen angewiesenen Bivouak Plätze mit der Hauptmasse bei Strasburg und mit einer kleinen Abtheilung bei der Bachor Mühle, von preußischen Truppen, Sanitäts-Rücksichten wegen, umschlossen.“

Die „Sanitäts-Rücksichten“ beziehen sich vermutlich auf die Cholera. Die gegen den polnischen Novemberaufstand eingesetzten russischen Truppen brachten die aus Indien kommende Cholera 1831 nach Europa. Alternativ kommt die Ruhr in Frage, im Lager an der heutigen Ulica Sądowa in Brodnica müssen die hygienischen Zustände, den Berichten nach, katastrophal gewesen sein. 

Polnischer Flüchtling 1831, Quelle Wikipedia, gemeinfrei

Die polnischen Soldaten wurden 1831 von meinem Urahn Michael Piotrowski in seiner armseligen Bauernkate in Zaborowo begeistert begrüßt.  

Julius Mosen   (1803-1867) beschreibt in seinem Gedicht „Die letzten Zehn vom vierten Regiment“ den gescheiterten Aufstand und den Weg der letzten zehn Grenadiere nach Preußen.

Stahlstich „Die letzten zehn des 4. Regiments“ von Georg Benedikt Wunder (1786–1858), Quelle Wikipedia gemeinfrei

„In Warschau schwuren Tausend auf den Knien
Kein Schuss im heil’gen Kampfe sei getan!‘
Tambour, schlag an! Zum Schlachtfeld lasst uns ziehen –
Wir greifen nur mit Bajonetten an!
Und ewig kennt das Vaterland und nennt
Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment!

 Und als wir dort bei Praga blutig rangen
Kein Kam’rad hat einen Schuss getan
Und als wir dort den Blutfeind zwangen –
Mit Bajonetten ging es drauf und dran!
Fragt Praga, das die treuen Polen kennt –
Wir waren dort das vierte Regiment!

Drang auch der Feind mit tausend Feuerschlünden
Bei Ostrolenka grimmig auf uns an
Doch wussten wir sein tückisch‘ Herz zu finden –
Mit Bajonetten brachen wir uns Bahn!
Fragt Ostrolenka, das uns blutend nennt –
Wir waren dort das vierte Regiment!

Und ob viel wack’re Männerherzen brachen
Doch griffen wir mit Bajonetten an!
Und ob wir auch dem Schicksal unterlagen
Doch hatte keiner einen Schuss getan!
Wo blutigrot zum Meer die Weichsel rennt
Dort blutete das vierte Regiment!

Doch weh, das heil’ge Vaterland verloren!
Ach fraget nicht, wer uns das Leid getan!
Weh allen, die in Polenland geboren
Die Wunden fangen frisch zu bluten an!
Und fragt ihr, wo die ärgste Wunde brennt –
Ach, Polen kennt sein viertes Regiment!

Von Polen her im Nebelgrauen rücken
Zehn Grenadiere in das Preußenland
Mit dumpfem Schweigen, gramumwölkten Blicken
Ein „Wer da?“ schallt – sie stehen fest gebannt!
Und Einer spricht : „Vom Vaterland getrennt –
Die letzten Zehn vom vierten Regiment!“

Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffen
an unsrer Seite dort wir stürzen sahn
Wir leben noch, die Wunden stehen offen
und um die Heimat ewig ist´s getan
Herr Gott im Himmel, schenk´ ein gnädig End´,
uns letzten noch vom vierten Regiment.“