alte Bilder (I)

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war es sehr verbreitet, kleine auf Karton aufgezogene Fotografien als fotografische Visitenkarten („carte-de-visite“) im Freundes- und Bekanntenkreis zu verteilen. Dies geschah nicht zuletzt auch, um bei der/dem Angebeteten auf sich aufmerksam zu machen oder sich in Erinnerung zu rufen. Auf den Rückseiten befanden sich meistens kunstvoll gestaltete Firmenwerbungen der jeweiligen Fotografen. Hier einige Bilder aus dem Fotoalbum meiner Großmutter.

Die Familie in Farbe

Die beiden Bilder müssen ziemlich alt sein, mein Urgroßvater starb 1917 und fehlt auf der zweiten Aufnahme. Friedchen ist 1903 geboren und Rudolf im zeitgemäßen Matrosenanzug ist 1906 geboren. Otto und mein Großvater fehlen auf den beiden Bildern, vielleicht waren sie als Soldaten schon im Krieg.

 

Auch das Foto meiner Großmutter mit ihrer Familie wird locker über 100 Jahre alt sein.

 

Mein Großvater ganz links, auf der Hochzeit seiner Schwester und rechts die Urgroßeltern

 

Meine Ur-Urgroßeltern aus Boppard mit ihren Kindern, ca. 1912

Friedrich August Karlstedt (1852 – 1931) – (II)

Nach Gottes, hl. Willen entschlief
heute früh 1¼ Uhr, nach schwerem,
aber geduldig ertragenem Herzleiden;
mein lieber Mann, unser guter
Vater, Schwiegervater, Großvater;
Urgroßvater, Schwager, Onkel und
Großonkel, der wohlachtbare Herr

Friedrich August Karlstedt
Schneidermeister

Vorher gestärkt, mit den Tröstungen
der hl. kath. Kirche, sanft und gott-
ergeben im Alter von 79 Jahren.
Um ein Gebet für den lieben Ver-
storbenen bitten:

Die trauerden Hinterbliebenen.

M.Gladbach-Waldhausen, Venn,
Essen, Bocholt, Viersen, Heerlen
(Holland), Starsdale (U.S.A.),
den 24. Januar 1931

Die Ueberführung der Leiche erfolgt
Dienstag morgen 8¼ Uhr vom
Trauerhause, Roermonderstraße 138;
zur Rektoratskirche Waldhausen, da-
selbst ½9 Uhr feierliches Seelenamt,
hieran anschließend die Beerdigung
auf dem Friedhofe in Venn.
Sollte jemand aus Versehen keine
besondere Einladung erhalten haben;
so wolle man diese Anzeige als solche
betrachten.

Etappenschwein

Als Etappenschweine wurden von den Frontsoldaten Soldaten bezeichnet, die in der Etappe – im Hinterland der Front – beschäftigt waren. Dort waren sie nicht den Gefahren der Front ausgesetzt und lebten oft „wie die Maden im Speck“. Während des Ersten Weltkriegs kursierte unter den Frontsoldaten folgendes Gedicht:

Die Etappenschweine.
Wer läuft gekleidet und gebügelt umher,
wem fällt das Grüßen entsetzlich schwer,
wer schluckt unzähliges Kommandogeld,
wer ist in Gesprächen und Briefen ein Held,
wer stiehlt uns die besten Weine,
das sind die Etappenschweine.

Wer hat weder Mist noch Grütze im Kopf
und trägt doch das schwarz-weiße Band im Knopf,
wer trippel den deutschen Frauen zur Schmach,
geputzten verseuchten Französinnen nach,
und wer schläft selten alleine?
Das sind die Etappenschweine.

Wer packt beim geringsten Schießen den Koffer
und zittert vor Durchbruchsversuchen von Joffre
wer schneidet die dümmsten Latrinengerüchte
und macht uns die freudige Stimmung zunichte
durch Schwarzseherei und Gegreine
das sind die Etappenschweine.

Und doch ihr Wichte und Milchgesichter,
ihr aufgeblasenes schlappes Gelichter,
wir möchten für euer erbärmliches Leben,
nicht eine der stolzen Erinnerungen geben,
uns binden Liebe und Treue,
ihr bleibt die Etappensäue.

Das Frontschwein

Otto Pongs war während des II. Weltkrieges ein „Etappenschwein“ auf der Insel Fanö in Dänemark. Am 3.2.1945, vier Wochen vor seinem Tod, schrieb er meinem Großvater den letzten Brief:

Lieber Vater!
Deinen Brief habe ich gestern erhalten. Warum machst Du Dir eigentlich Sorgen wenn ich Offizier werden will. Du mußt mich doch langsam kennen und wissen das ich es bisher immer noch richtig gemacht habe. Ich bin doch viel zu gerieben als das ich jemals eine Dummheit machen würde.
Leider kann ich Dir auch zu Deiner Beruhigung mitteilen, daß aus der Mühe vorläufig auch nichts werden wird. Der „Alte“ läßt mich nämlich nicht weg.
Ich werde also vorläufig noch Etappenschwein bleiben. Lieber Vater! Ich mache mir solche Sorgen um unseren Hugo. Wann hast Du zuletzt etwas von ihm gehört. Schreibe mir doch bitte mal etwas genaues..
Ich muß jetzt schließen. Zur Zeit bin ich Zugführer und habe deswegen wie Du Dir wohl denken kannst wenig Zeit. Viele Grüße Dein Otto

Weidenfeld

2015 erschienen die Lebenserinnerungen des Herrn Weidenfeld. Direkte Nachbarn der Weidenfelds war die Familie Pongs. Der Onkel von Ulrich Weidenfeld, Albert Pongs, war zudem der Bruder von meinem Großvater Wilhelm.  

Ulrich Weidenfeld mit der Ziege meines Vaters. Scheinbar führte Herr Weidenfeld als Kind auch schon intellektuelle Gespräche mit meinem Großvater über posttraumatische Belastungsstörungen.

Seite 24:Auf seelische Belastungsstörungen durch Kriegserlebnisse wurde der achtjährige Ulrich im Spätherbst des Jahres 1940 durch Wilhelm Pongs, hingewiesen, der im Nebenhause wohnte und als Soldat im Ersten Weltkrieg, von 1914 bis 1918, in den deutsch-französischen Hauptkampfgebieten an der Somme und in Verdun zum kämpferischen Einsatz kam. Er erzählte von gleichaltrigen, bei Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914 etwa 20jährigen jungen Deutschen und Franzosen, die vor ihrer menschlichen Reife wie Vieh auf die militärischen Schlachtfelder kommandiert und wenn sie nicht erschossen wurden, für den langen Rest ihres Lebens vielfach als seelisch gebrochene Menschen zurückkehrten. Spätfolgen in unterschiedlichster Art und Weise, wie Angstzustände, Depressionen, Konzentrationsmängel, Leistungsschwäche, Panikattacken, Schlafstörungen, Wahnvorstellungen, Wutausbrüche seien je nach persönlicher Veranlagung zu beobachten und je mehr Feuergefechte ein Soldat überlebte, umso belastender gestalteten sich die posttraumatischen Belastungen.“

Seite 189: „Der anfahrende Personenzug gewann in Kürze eine beachtliche Geschwindigkeit und während der schneller werdenden Fahrt hielten ihm bedrückende Ängste auf das zu erwartende Leid durch eine grenzenlose sich steigernde Kriegsmaschinerie gefangen, die Wilhelm Pongs, Hugos Vater, ihm vor einigen Wochen in erschreckender Weise vom ersten Weltkriege berichtete.“

Großvater Wilhelm Pongs (1885 –  1965) als Soldat im 1. Weltkrieg.

Theo Weidenfeld, der Vater von Ulrich, war als Soldat 1944 in Paris. Großvater schrieb Ihm am 22.8.1944 einen kurzen Brief, der seinen Empfänger aber nicht erreichte.

Lieber Herr Weidenfeld!
Für Ihren teilnahmsvollen Brief, zum Tode unserer lieben unvergesslichen Else, herzlichen Dank, wir können es immer noch nicht fassen und glauben, das unsere so liebe Else von uns ging. Jetzt ist es sehr einsam um uns geworden. Hoffen wir zu Gott das er uns tröstet in dieser furchtbaren Zeit. Wünsche Ihnen alles Gute und eine ???
Gruß Willi Pongs und Frau

Die Verleihungsurkunde „Ehrenkreuz für Frontkämpfer 1914/1918“ für Wilhelm Pongs