„Mehr oder wenig freiwillig eingedeutscht“

Zu den wenigen Büchern über den Kreis Strasburg in Westpreußen gehört das 1981 erschienene Buch „Der Kreis Strasburg – Geschichte eines westpreußischen Gebietes“ von Rudolf Birkhof. Zufinden ist das Buch u.a. in der Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Warschau, unter der Signatur: 8.2 Prs /Bir / (Magazin).

Birkhof schreibt auf Seite 310 über Górzno u.a.: „1943 erhielt die Stadt mit der allgemeinen Verdeutschung die amtliche Bezeichnung „Görzberg“, einen Namen der sich bei der Bevölkerung kaum durchsetzte. Am Aufbau der Einwohnerschaft änderte sich während der sechs Jahre relativ wenig. Noch vor dem 1. September 1939 waren mehrere polnische Familien geflohen. Die übrigen verbliebenen wurden später – mehr oder wenig freiwillig – eingedeutscht. Daneben blieb der Zuzug von Deutschen aus dem Reich in bescheidenen Grenzen. 1941 wanderten 16 Familien Bessarabiendeutscher ein, die zum größten Teil polnische Bauernhöfe als Treuhänder übernahmen. Bis Oktober 1943 stieg die Einwohnerzahl auf 1991 Personen, d.h. im Vergleich zum Jahre 1933 hatte sie sich um 7,5 % vergrößert (im gesamten Kreisgebiet dagegen um 16 Prozent.“

Man sieht wohl, wes Geistes Kind der Verfasser ist, denn auf Seite 297 schreibt Birkhof im Zusammenhang mit der Stadt Lautenburg (Lidzbark), „Die Befreiung im September 1939 verbesserte die Lage der Volksdeutschen ganz entscheidend.“ Herausgegeben wurde diese Abhandlung vom Heimatkreis Strasburg der Landsmannschaft Westpreußen. In der Charta der deutschen Heimatvertriebenen ist das „Recht auf Heimat“ ein von „Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit“.

Auf Seite 310 des Buches ist die Rede von der Tante meiner Großmutter, Apolonia Cremanns, denn die wurde damals „mehr oder wenig freiwillig eingedeutscht“. Der Rest der Familie wurde gleich mit „eingedeutscht“ und „Heim ins Reich“ gebracht bzw. nach Haiger in Hessen deportiert.(deportowany do III Rzeszy)

Zufällig fand ich einen interessanten Artikel in der Berliner Taz vom 8. Mai 1995 über die Nachbarn von Apolonia Cremanns in Zaborowo, die Familie Narodzonek: „April 42 sind sie gekommen, nachts, in schwarzen Uniformen, SS-Männer oder SA, Pani Febronia weiß es nicht mehr, sie war ein Kind damals, kaum zehn Jahre alt.
„Los, raus aus den Betten, aufstehn, anziehn, schnell, schnell!“ hieß es da, die deutschen Befehle kennt sie noch wörtlich. Sind gekommen, die Familie abholen, den Vater Jan, die Mutter Wladislawa und ihre fünf Kinder, Grzegorz, Ludwik, Henryka, Febronia und den kleinen Jan, den Sechsjährigen, der zu weinen anfing. Haben sie packen geheißen, Bettzeug und ein paar Kleider für den Arbeitseinsatz, sonst nichts. Aber Grzegorz, dem Achtzehnjährigen, ist es gelungen, unbemerkt zu fliehen. Ihn haben sie nie wiedergesehen, den Bruder, den die Deutschen dann erschossen haben im November 44. Es hatte geheißen, er habe den Partisanen geholfen.
„Ein SS-Jagdkommando hat ihn zur Strecke gebracht“, fügt da Stefan, der Förster, hinzu, und an Ort und Stelle hätten sie Grzegorz Narodzonek, gerade 20 Jahre alt, im Wald verscharrt. In Zaborowo, Kreis Brodnica, war das, da war auch Febronias Elternhaus, das Bauernhaus mit den 20 Hektar Feld, ein schmuckes Anwesen. Die Deutschen, seit September 39 als Herrenmenschen im Land, hätten mit Vorliebe die Bauern der stattlicheren Höfe geholt, die haben sie für ihre eigenen Leute frei gemacht. Haus und Hof der Familie Narodzonek haben Deutsche aus Bessarabien bekommen.“ http://www.taz.de/!1509803/

Bei einer repräsentativen Befragung von 1.000 Personen im Alter von 16 bis 92 Jahren glaubten im Februar 2018, 54 Prozent der Deutschen das ihre Familien zu den Opfern von Hitlers Politik zählten und nur knapp 18 Prozent gab zu, dass unter ihren Vorfahren, Täter der Naziverbrecher waren. Immerhin gehörten 18 % der Befragten noch zu den Gutmenschen. 

Dies berichtet die „Welt“ am 23.2.2017 unter dem Titel: „Wie sich heutige Deutsche die NS-Zeit schönlügen“.


Quellenangabe: obs/Stiftung EVZ/www.greengrafik.com/

Mich schockiert immer wieder die Unwissenheit über die Art der deutschen Besatzung und der Verbrechen in Polen. Das Ziel war die vollständige Unterordnung und Zerstörung der polnischen Gesellschaft. Es begann mit der gezielten Tötung polnischer Intellektueller am Kriegsanfang (Sonderaktion Krakau und die Lemberger Professorenmorde) und reicht bis zur Niederschlagung des Ghetto-Aufstandes 1943 und des Warschauer Aufstandes 1944.

Beim Rückzug der Deutschen war von Warschau ein elender schneebedeckter Trümmerhaufen übrig. Aus dem Stadtteil Wola mussten nach dem Warschauer Aufstand zehn Tonnen menschlicher Asche auf einen besonderen Friedhof gebracht werden. Schätzungen zufolge ermordeten die Deutschen insgesamt drei Millionen nichtjüdische Einwohner Polens. Das waren knapp 1200 täglich.